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Aktualisiert: 19. Feb. 2024

Mit Anfang Fünfzehn las ich wie so viele Altersgenossen seit Generationen den Erlebnisbericht „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ von Christiane Felscherinow.

(Lustigerweise kenne ich niemanden meines Alters, der dieses Buch damals las, auf den es den gewünschten pädagogischen Effekt gehabt hätte. Wir wollten alle wie Christiane sein).

Gegen Ende der Geschichte erwähnt sie fast beiläufig „Die Kunst des Liebens“ des Psychoanalytikers Erich Fromm: ein Buch, das sie, als sie dem Drogenmolloch Berlin zum ersten Mal entkommen war, ausgiebig studierte.

Es handelte sich zu damaliger Zeit um einen aktuellen Bestseller in Deutschland (in den USA, wohin Fromm als Jude vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs emigrierte, war es fast zwei Jahrzehnte früher erschienen).


Nachdem ich erstgenanntes Buch ausgelesen hatte, eilte ich sofort in die öffentliche Bibliothek, um letzteres zu besorgen.

Ich habe es verschlungen! Ich nahm das kleine, gelbe Büchlein der „Büchergilde Gutenberg“ mit dem Akt einer liegenden Frau auf dem Einband fortan überall hin mit.

Auch in die Schule, wo mir damals die genannte Abbildung den Spott meiner drei Jahre älteren Pausen-Bekanntschaft Ana einbrachte.

Von vielen (z.B. Maxim Biller), die wie Christiane damals selbst miterlebten, wie sich das Buch an die Spitze der Bestsellerlisten hinauf philosophierte, völlig zu Recht verachtet, eröffnete es mir, mit dem Glück der späten Geburt gesegnet, neue Horizonte und verleitete mich, unter meinen Altersgenossen anzugeben mit dem ansonsten bereits in Vergessenheit geratenen Geheimwissen.


Es gibt wenige Situationen, in denen ich nach psychologischen Sachbüchern oder Ratgebern gefragt werde, und nicht Erich Fromm empfehle. Neben dem genannten Werk ist das dann meist „Haben oder Sein“ (eine spätere, umfassendere Ausgabe trägt den Titel „Vom Haben zum Sein“). Versucht habe ich mich aber auch an weniger populären Publikationen wie „Wege aus einer kranken Gesellschaft“ oder „Die Furcht vor der Freiheit“.

 

Neulich stolperte ich beim Hören eines der vielen blitzgescheiten Vorträge, die Erich Fromm gegen Ende seines Lebens dem Radio gegeben hat, über den Begriff der „Funktionsfreude“. Geprägt wurde dieser nicht von Fromm selbst, sondern vielmehr durch den deutschen Psychologen Karl Bühler.

Fromm bezieht sich auf ihn, wenn er sagt:

„Es soll besagen, dass Tätigsein eine Freude mit sich bringen kann, die darin liegt, dass der Mensch sein Funktionieren genießt, und zwar nicht, weil er dieses oder jenes braucht, sondern weil der Akt des Erschaffens, das Ausdrücken der eigenen Fähigkeiten, selbst Freude schafft. (…) Ich glaube, der Mensch ist nur er selbst, wenn er sich äußert, wenn er die ihm innewohnenden eigenen Kräfte ausdrückt. Wenn das nicht geschieht, wenn er nur „hat“ und benützt, statt zu „sein“, dann verfällt er, dann wird er zum Ding, dann wird sein Leben sinnlos. Es wird zum Leiden. Die echte Freude liegt in der echten Aktivität, und echte Aktivität ist der Ausdruck, ist das Wachstum der menschlichen Kräfte“. ― (1983b [1971]: Überfluss und Überdruss in unserer Gesellschaft, in: Erich-Fromm-Gesamtausgabe (GA) Band XI, S. 319.)

Wie so häufig bei Fromm muss ich innerlich zustimmend, energisch nicken.

Schafft er es doch, scheinbare Banalitäten augenöffnend und dabei ebenso tiefgründig wie verständlich zu erläutern.

 

Fromm war wie viele Philosophen seiner Generation politisch engagiert und trat ein für einen, wie er es nannte: „demokratischen Sozialismus“.

Er befasste sich mit den christlichen Mystikern wie Meister Eckhart ebenso wie mit Karl Marx (den er für missbraucht und missverstanden hielt von Rechts wie Links).

Entgegen der landläufigen Meinung vertrat er nicht das Idealbild einer absoluten Askese - vielmehr ging es ihm darum, einzustehen gegen das Streben nach einem immer größeren und in seinen Augen krank machenden Konsum und für die volle Entfaltung der menschlichen (geistigen) Kräfte.

 

Auf den Wunsch und die konstruktive Kritik einer neuen, aber bereits anhänglichen Leserin hin, werde ich diesen Post editieren und mit einigen Zusatzinfos und -Links versehen:

 

Wer wenig Zeit (oder finanzielle Mittel) hat, dem empfehle ich ersatzweise das Studieren des deutschen Wikipedia-Artikels zur „Kunst des Liebens“.

Dort werden die diversen Kapitel des Buches charmant schlampig recherchiert und erfrischend lückenhaft wiedergegeben. Formidable!  

 

Wer sich etwas ernsthafter und eingängiger mit Fromms Werk beschäftigen möchte, dem lege ich einen seiner erwähnten Radiovorträge ans Herz.

Ebenso eignet sich, vielleicht noch besser, dieses Fernsehinterview, eingebettet in einige Eckdaten und Informationen zu Fromms Wirken und Werdegang.

 

Wem das immer noch zu wenig Hintergrundinformationen in einem Text sind, möge bitte persönlich an mich herantreten. Ansonsten hoffe ich, erst einmal alle Fragezeichen auf sämtlichen Häuptern beseitigt zu haben.

Nächstes Mal dann ein Artikel über Adorno oder zur „Frankfurter Schule“ – wir wollen ja schließlich etwas lernen!

 

Wie immer eine angenehme Restwoche und viele funktionsfreudige Erlebnisse!

 
 
 
  • 10. Feb. 2024
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Feb. 2024

Langsam bekomme ich ein schlechtes Gewissen, so häufig YouTube-Videos auf diesem Blog zu verlinken (und dafür nicht wenigstens schon ein großzügiges Sponsoring vereinbart zu haben)!

Wie immer gibt es aber auch dieses Mal vorab etwas Text:

 

Es soll hier um zwei Männer aus der Kulturlandschaft gehen, die mich tief beeindruckt und geprägt haben, und deren Wege sich das erste Mal Mitte der Neunziger kreuzten.

Den Publizisten und Moderator Roger Willemsen und den an Glasknochen erkrankten Jazzpianisten Michel Petrucciani.

Sie vereint nicht nur das unglaubliche Talent in ihrem jeweiligen Metier, sondern tragischerweise auch die Tatsache, dass sie beide bereits viel zu früh verstorben sind.

Zwei Enthusiasten, ausgestattet mit einer ansteckenden, überbordenden Daseinsfreude und einem immensen Lebenshunger.

Als Roger Willemsen an jenem Tag im Jahr 2016 nach kurzer Krankheit den Kampf gegen den Krebs verlor, machte ich gerade die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger und war neben meinem Deutschlehrer der einzige Betroffene im Raum.

Es war der erste Tod eines Prominenten, der mich wirklich berührte.

Wie so viele hatte auch ich den Eindruck durch seine zahlreichen Bücher und Interviews, Roger wirklich gekannt zu haben.

Michel Petrucciani hingegen hatte ich erst auf dem Schirm, als dieser schon verstorben war.

Dass ich ihn überhaupt kenne, habe ich - wie so vieles - auch Roger zu verdanken.

 

Roger Willemsen, der seine Fernsehkarriere 1991 beim Pay-TV-Sender „Premiere“ durch puren Zufall begann, bekam bereits drei Jahre später seine eigene Talkshow „Willemsens Woche“ im ZDF angeboten. Als jemand, der zeit seines Lebens dem Jazz verschrieben war, wünschte sich Willemsen den damals bereits außerordentlich erfolgreichen Michel Petrucciani als musikalischen Sidekick für die Sendung. Als er ihn nach einem Konzert im Backstage schließlich abpassen konnte, lautete dessen Kommentar nur: „Will do that“.

Willemsen reiste ab, ohne recht daran zu glauben, dass dieses Versprechen halten sollte.

Doch: genau so kam es. Nicht nur das. In einem Interview erinnert sich Michel Petrucciani an die gemeinsame Fernsehzeit als die glücklichste seines Lebens. Ein Kompliment, das Roger sicher geschmeichelt haben dürfte.

 

Die Sendung wurde 1998 nach einigen investigativen Interviews mit Politikern oder dem damaligen „Focus“-Chef Helmut Markwort, die Willemsen u.a. eine Rüge des Fernsehrats bescherten, und immer schlechteren Einschaltquoten eingestellt. Es folgten Formate wie „Willemsen – ein Fernsehgespräch“ oder „Gipfeltreffen“.

Im Jahr 2002 verabschiedete sich Willemsen gänzlich vom Fernsehen und wandte sich mehr seinen Büchern und Bühnenprogrammen zu.

 

Michel Petrucciani war da bereits verstorben. Er starb 1999, ein Jahr nach Einstellen der gemeinsamen Sendung, an den Folgen einer Lungenentzündung.

Bei seiner Geburt sollen die Ärzte seinen Eltern prophezeit haben, dass er sein dreißigstes Lebensjahr nicht erreichen würde. Er wurde schließlich sechsunddreißig und sollte sich jeden weiteren Geburtstag, den sie gemeinsam feierten, daran erfreuen, sie Lügen gestraft zu haben.

 

Der unten verlinkte Dokumentarfilm „Non Stop – Eine Reise mit Michel Petrucciani“ entstand 1996 unter der Regie von Roger Willemsen.  

Zu sehen ist er im englischen Original mit französischen Untertiteln.

Er beginnt im Garten des Hauses von Schauspiellegende Charlotte Rampling und endet auf einem Wolkenkratzer in New York.

Zu viel möchte ich nicht verraten und zu viel hoffentlich auch nicht aus eigener Sentimentalität verklären.

Trotzdem halte ich diesen Film für ein gelungenes Denkmal für Michel Petrucciani.

 




 
 
 
  • 6. Feb. 2024
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 7. Feb. 2024

Vor einigen Jahren war ich schon einmal versucht, etwas über Rom zu schreiben.

Es sollte ein Reisebericht werden und er trug pathetischerweise den Titel „Geweihtes Land“.

Zweimal war ich bisher dort, zweimal mit meinem Bruder, zweimal stiegen wir ab im mondänen, aber nie zu schicken „Westin Excelsior“ in Laufnähe zur Spanischen Treppe, in dem Kurt Cobain sich in den 90ern einst einen Cocktail aus Alkohol und Schlaftabletten verpasst hatte und ins Koma gefallen war.

Wir blieben zuletzt weitgehend nüchtern, was in meinen Augen der Strahlkraft der Metropole jedoch keinen Abbruch tat.

Könnte ich wählen, wo im Ausland ich einmal länger leben wollte, es wäre wohl Rom.

 

"Während der Fahrt vom Flughafen zum Hotel spielte das Autoradio damals den Song „Smalltown boy“ von „Bronski Beat“, der schließlich den Soundtrack unserer Reise bildete. Ein typischer 80er-Gassenhauer, der sich entgegen seiner eingängigen Popmelodie auf ernsthafte Weise mit Homophobie auseinandersetzt.
Nachdem wir eingecheckt und beide erst einmal je einen Espresso in einem nahen „Baretto“, also einem kleinen italienischen Café, getrunken hatten, verschwanden wir schon wieder auf unser Zimmer, um das Gepäck auszuräumen.
Abends stolperten wir noch einmal auf die Straße. Wir schlenderten durch die Gassen und plauderten. Über das Leben auf Reisen, das mein Bruder führte, über die Verwandtschaft und schließlich auch über mein mühevolles Fortkommen bei der Ausbildung.  Als wir am Vatikan angelangten, dämmerte es bereits".

 

Sechs Jahre und eine Ausbildung später machten wir uns zu zweit erneut auf den Weg.

Und auch für 2024 ist eine Romreise in Planung - wenn auch diesmal in anderer Konstellation.

Besonders gefiel mir die Stadt im Spätherbst, wenn sie weniger überschwemmt ist von Touristen und die Temperaturen abends dennoch mild sind.

 

Nebst meiner sind übrigens auch noch eine Handvoll meiner ganz persönlichen Helden der Popkultur Rom verfallen. Der „Fernsehkoch“ (der Begriff klingt in diesem Zusammenhang leider unsäglich abwertend) und Weltenbummler Anthony Bourdain etwa lernte hier seine spätere Lebensgefährtin und geborene Römerin Asia Argento (Tochter des italienischen Horrorfilm-Pioniers Dario Argento) während eines seiner Drehs für seine Reiseshow bei CNN kennen (ich empfehle allen Lesern, sich diese Folge auf YouTube anzuschauen, um das erotische Knistern zwischen den beiden nachzuerleben).

 

Laut Wikipedia hat außerdem Morrissey vor einiger Zeit seinen Hauptwohnsitz in L.A. aufgegeben und lebt nunmehr dauerhaft in einem römischen Hotel.

Im Jahr 2006, während der Aufnahmen zu „Ringleader of the Tormentors“, entstand dort ein Interview, das ein anscheinend französischer Journalist mit ihm und seinem zwei Jahre zuvor zur Band gestoßenen Gitarristen Jesse Tobias führte.

Ich habe in letzter Zeit – nicht nur zu Recherchezwecken – wirklich viele Morrissey-Interviews unterschiedlichster Dekaden gesichtet und muss sagen: rührend wie Mozzer bei manchen Antworten hier herumdruckst oder die beiden verstohlene Blicke austauschen!

Jesse Tobias hat inzwischen die Fünfzig überschritten und Morrissey bewegt sich mit großen Schritten immer mehr dem körperlichen Verfall entgegen.

Wer weiß, ob die beiden noch ein Paar sind?

 

Und was wäre sonst noch zu sagen in diesem Blogpost?

Sollten wir dieses Jahr tatsächlich noch fliegen, gibt es davon ganz sicher Bilder auf dieser Seite, denn wie schon an anderer Stelle erwähnt, versuche ich mich seit Neuestem an analoger Fotografie.



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